Smartphones nehmen eine immer größere Rolle im Leben des Menschen ein – so scheint es zumindest. 49 Millionen Menschen in Deutschland nutzten im Jahr 2015 ein Smartphone, das ist mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung. Gleichzeitig ergab eine Studie britischer Forscher im Jahr 2012, dass 66 Prozent der britischen Handynutzer von der Angst betroffen waren, nicht erreichbar zu sein. Seitdem hat das Kind einen Namen: Nomophobie. Auf Deutschland angewandt, hieße das, dass knapp 32 Millionen Menschen abhängig vom Smartphone sind. Aber was ist dran am Thema Handysucht – gibt es das?
Nomophobie und die Erreichbarkeit 24/7
Zum Einstieg ein kleiner Selbsttest: Sie sind in der Stadt unterwegs und erwarten eigentlich einen wichtigen Anruf und die Nachricht einer Freundin. Als Sie überprüfen wollen ob sich auf dem Smartphone was getan hat und Sie es verpasst haben, stellen Sie fest: das Handy ist nicht dabei. Die erste Reaktion ist: Panik. Verloren, gestohlen, oder doch nur vergessen? Wem jetzt bereits vom Lesen dieser Situation der kalte Schweiß ausbricht, dem ist zu sagen: willkommen im Club der Nomophoben.
No-Mobile-Phone-Phobie, oder kurz Nomophobie, beschreibt die Angst, für soziale oder geschäftliche Kontakte nicht erreichbar zu sein. Das tritt vor allem dann ein, wenn die Batterie des Handys zu Neige geht, kein Guthaben mehr vorhanden ist, das Handy kein Netz hat oder es schlichtweg verloren oder liegen gelassen wird.
In vielen Fällen lässt sich dem Funktionsverlust vorbeugen – routiniert nachts das Handy aufladen beispielsweise, oder eine Powerbank in der Tasche haben. Auch wer die Sorge hat, das Guthaben könne ausgehen, kann mit einer Flatrate etwas dagegen tun, auch wenn es jeweils auf das eigentliche Nutzerverhalten ankommt, wenn es darum geht, ob der Tarif das richtige für den einzelnen ist. Laut Untersuchungen nutzen nämlich noch knapp 26 Millionen Menschen in Deutschland eine Prepaid-Karte. Was sich nicht verhindern lässt, ist jedoch das eigene Vergessen, denn das gehört zum menschlichen Wesen dazu. Wenn das also öfter passiert, sollte das eigene Verhalten überprüft und hinterfragt werden: Warum ist das Smartphone so wichtig für mich, und – viel wichtiger – beeinträchtigt mich das?
Permanentes Multitasking
Das Problem der Erreichbarkeit 24/7, die heute zum Teil von anderen, zum Teil aber auch schlichtweg von jedem selbst erwartet wird, ist die Unfähigkeit abzuschalten oder konzentriert dran zu bleiben. Das weiß auch Alexander Markowetz, Informatikprofessor an der Uni Bonn. Um das Nutzerverhalten am Smartphone zu analysieren, hat er eine App entwickelt, die speichert wann und wie der Handybesitzer aktiv ist – die Ergebnisse sind alarmierend. Durchschnittlich wird das Smartphone 88-mal am Tag aktiviert, das entspricht einer Nutzung alle 18 Minuten, insgesamt zweieinhalb Stunden am Tag. „Das wirklich Überraschende an den Ergebnissen war nicht so sehr die Zeit der Nutzung, sondern die riesige Anzahl der Unterbrechungen“ sagte Markowetz der Tagesschau. „Das Problem ist die daraus resultierende Fragmentierung des Alltags und das permanente Multitasking.“
Erwartet oder hausgemacht?
Aber woher kommt dieses Verhalten – wird es von außen erwartet, oder handelt es sich um ein hausgemachtes Problem? Teils, teils, muss die Antwort lauten. Denn „von außen“ heißt in dem Fall von den sozialen Kontakten, die davon ausgehen, den jeweils anderen ständig zu erreichen. Das gilt aber andersherum gleichermaßen – jeder stresst sich also gegenseitig in die Abhängigkeit vom Smartphone. Der Druck, nichts zu verpassen und nicht direkt verfügbar zu sein, ist so am Ende selbstgemacht, alleine dadurch, dass er auf andere ausgeübt wird. Das heißt im Umkehrschluss: Wenn alle Mitglieder einer sozialen Gruppe etwas lockerer wären im Umgang mit dem Smartphone, gäbe es kein Problem.
Wenn es wirklich problematisch wird: Todesfälle durch Selfies
Das Problem geht aber weiter – nicht nur der Stress macht krank, auch die Handynutzung an sich. Der verspannte Nacken ist kein Phänomen, das immer noch nur von der Schreibtischtätigkeit kommt – „Handynacken“ nennt sich das heute.
Traurig und erschreckend, aber ebenfalls wahr: 49 Menschen starben seit dem Jahr 2014 bei dem Versuch, ein Selfie zu machen. Schlagzeilen im September 2015 lauteten: „Mehr Menschen durch Selfies gestorben als durch Hai-Attacken“. Da waren es noch „nur“ 14 Todesfälle. Was bringt den Menschen dazu, in die digitale Abhängigkeit zu laufen?
Immer schon bewegt den Menschen die Frage: was bleibt, wenn er nicht mehr ist – früher war es das Haus, was von Hand, Stein auf Stein, aufgebaut wurde, die Firma, die vom Kleinstunternehmen zum großen Familienbetrieb wurde, der von Generation zu Generation weitergegeben wird. Vielleicht ist es heute das Facebook-Profil, das die Existenz bestehen lässt? Spektakuläre Selfies als Alleinstellungsmerkmal? „Get rich or die trying“ – von den Menschen, die beim Versuch ums Leben kamen, gibt es immerhin spannende Statistiken.

Selfies als Todesursache: ein trauriges Phänomen, das sich mehr und mehr zu häufen scheint. Der Großteil (19) der Selfie Todesfälle passiert übrigens in Indien, auf Platz zwei liegt Russland, wo Roofing ein beliebter Nervenkitzel ist.
Quelle: http://www.mobilegeeks.de/artikel/tod-durch-selfie/
Praktisches Tool vs. Totale Kontrolle?
Dennoch: was ist es, das an das Smartphone fesselt? Es ist zum einen der Drang erreichbar zu sein, das Gefühl gebraucht zu werden – denn das drückt das Handy voller Nachrichten schließlich aus. Zum anderen ist es aber eben genau das praktische Tool, das das Leben so vereinfacht. Mobil Termine eintragen, von unterwegs aus über verschiedene Kanäle kommunizieren, die Emails schnell schon in der U-Bahn checken zu können – all diese praktischen Anwendungen kommen in dem Gerät zusammen. Da hört es aber lange nicht auf. Fitness-Tracker, Schnittstelle zu sozialen Netzwerken, das Lexikon im Internet. Alle diese Dinge vereint das Smartphone, es gibt beinahe nichts, wofür es keine App gibt.
Erst diese Anwendbarkeit in jedem Bereich des täglichen Lebens hat das Smartphone so wichtig werden lassen. In gewisser Weise weiß es mehr über das eigene Leben als der beste Freund – es ist also kein Wunder, dass eine gewisse Panik aufkommt bei dem Gedanken, es verloren zu haben. Das ist die gute Nachricht und eine Erleichterung für alle, die sich als nomophobisch einstufen: das Smartphone als wichtigster Begleiter hat seine Berechtigung. Solange es all die Bedürfnisse befriedigt, auf die es ausgelegt ist und nicht zur lästigen Pflicht wird, die ständig nervt, ist es vollkommen legitim es immer bei sich zu tragen. Denn erst wenn es wirklich zur Belastungsprobe wird, die täglich die Nerven strapaziert und die Erreichbarkeit 24/7 zum Burn-Out führt, ist es wirklich Zeit, das Smartphone abzuschalten: zumindest für wenige Stunden am Tag.
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